Ohren und Gehirn: Ein eingespieltes Team
Wie die Form unserer Ohren und die Kopfseite unser Hörvermögen beeinflussen
Unser Gehirn kennt die Form unserer Ohren ganz genau. Denn sie beeinflusst, wie das Gehirn Geräusche wahrnimmt und interpretiert. Was passiert, wenn sich die Form unserer Ohren verändert, etwa durch Hörgeräte?
Auf einen Blick
- Jedes Paar Ohren bildet mit „seinem“ Gehirn ein einzigartiges Gespann.
- Studie belegt: Ändert sich die Form unserer Ohren, muss das Gehirn erst wieder lernen, Hörsignale richtig zu verarbeiten.
- Bei neuen Formen durch Operationen, Wachstum oder Hörsysteme richtet sich der Höreindruck neu aus.
Zusammen sind unsere Ohren und unser Gehirn wie eine erfolgreiche Sportmannschaft – ein eingespieltes Team. Ohne unsere Ohren könnte unser Gehirn keine Geräusche verarbeiten. Dass Trommelfell und Gehörknöchelchen dabei eine wichtige Rolle spielen, ist bekannt. Aber welche Rolle spielt die individuelle Form unserer Ohren?
Von ihr hängt es ab, wie unser Gehirn Töne wahrnimmt und interpretiert. Es kennt unsere Ohrform ganz genau und ist perfekt auf diese abgestimmt. Je nachdem, wie die Schallwellen auf unser Ohr treffen und weitergeleitet werden, übersetzt sie das Gehirn für uns in unterschiedliche Informationen. Zum Beispiel können wir die Richtung oder die Entfernung einer Geräuschquelle richtig einschätzen, wenn wir einen Ton hören. Die Form der Ohren ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich – somit bildet jedes Ohrenpaar mit „seinem“ Gehirn ein einzigartiges Gespann.
Töne von oben oder unten?
Kanadische Forscher untersuchten, was passiert, wenn sich das Gehirn plötzlich an eine neue Ohrform anpassen muss (The Encoding of Sound Source Elevation in the Human Auditory Cortex, 2018). In einem Experiment klebten sie dazu kleine Silikonstücke auf die Ohrmuscheln ihrer Testpersonen und veränderten auf diese Weise deren Ohrform.
Das Ergebnis der Studie ist verblüffend: Die Testpersonen konnten aufgrund der kleinen Silikonteile und ihrer deshalb veränderten Ohrform nicht mehr erkennen, ob ein Geräusch von oben oder unten kommt. „Als wir ihnen etwa einen Ton oberhalb ihres Kopfes vorspielten, glaubten sie, dass er von unten kam“, erläutert Prof. Dr. Marc Schönwiesner, Professor für Neurobiologie an den Universitäten Montreal und Leipzig. Das Gehirn ist jedoch extrem flexibel: Schon nach ein paar Tagen passte es sich an die neue Form der Ohren an und lernte, die Hörsignale wieder richtig zu bewerten. Die Testpersonen konnten wieder problemlos einschätzen, aus welcher Richtung ein Geräusch kam.
Neue Ohrform, neues Team
Die Form unserer Ohren ändert sich nicht nur durch Schönheitsoperationen, wie bei abstehenden Ohren oder Verletzungen am Ohr: Auch wenn wir wachsen, hat dies Auswirkungen auf die Form unserer Ohren. In all diesen Fällen ist es wie im Sport: Das Team aus Ohr und Gehirn muss trainieren, um wieder harmonisch und zuverlässig miteinander spielen zu können. Das verdanken wir der Anpassungsfähigkeit unseres Gehirns: „Ein Gehirn ist keine Maschine, die einmal eingestellt rund funktioniert, sondern ein Gehirn lebt und kann sich auch auf neue Situationen einstellen“, sagt der Neurowissenschaftler Henning Beck.
Neue Ohrform durch Hörgeräte
Hätten Sie’s gewusst? Umlernen muss das Gehirn auch, wenn jemand aufgrund einer Hörminderung Hörgeräte bekommt. Denn auch Hörsysteme ändern die Form unserer Ohren, da sie im oder am Ohr getragen werden. Die Ergebnisse der kanadischen Studie helfen dabei, die Gewöhnung an Hörgeräte besser zu verstehen. Dies ist ein Prozess, bei dem Träger von Hörsystemen eng mit ihrem Hörakustiker zusammenarbeiten. Er oder sie nimmt neue Einstellungen und Anpassungen vor – so lange, bis sein Kunde voll und ganz zufrieden und vor allem wieder gut hörend ist.
Ich bin – besonders rechts – ganz Ohr
Nicht nur die Form unserer Ohren ist entscheidend dafür, wie und was wir hören. Auch die Seite des Kopfes, auf der sie sitzen, spielt eine Rolle: Forscher in den USA haben herausgefunden, dass unser rechtes Ohr dem linken Ohr oft überlegen ist. So konnten sich Testpersonen beispielsweise besser an zuvor gehörte Ziffernfolgen erinnern, die sie mit dem rechten Ohr gehört haben. Die Erinnerung an Ziffern, die mit dem linken Ohr gehört wurden, war schlechter. Warum das so ist, ist allerdings noch nicht endgültig erforscht.
Aber es gibt bereits Vermutungen: Das rechte Ohr hat Zugang zur linken Gehirnhälfte. Sprache wird hauptsächlich in der linken Gehirnhälfte verarbeitet, denn dort sitzt unser Sprachzentrum. „Das, was am rechten Ohr ankommt, kann dann auch besser sprachlich verarbeitet werden. Und dann könnte es sein, dass man sich besser daran erinnert“, erklärt Neurowissenschaftler Henning Beck.